An zusätzlicher Brisanz gewinnt das Thema der proaktiven Offenlegung durch den immer weiter fortschreitenden Datenaustausch mit den Abgabenbehörden, wie etwa auf Basis des Gemeinsamen Meldestandard-Gesetzes (GMSG), des Wirtschaftlichen Eigentümer Registergesetzes (WiEReG), der internationalen Amts- und Vollstreckungsamtshilfe und des EU-Meldepflichtgesetzes.
Gesellschafts- und steuerrechtliche Umstrukturierungen, welche regelmäßig mit hohen Kosten und Aufwendungen verbunden sind, liegt oftmals seitens der Finanzverwaltung der Verdacht zu Grunde, dass die Gestaltungen ausschließlich abgabenrechtlich motiviert sind und daher missbräuchlich im Sinne des § 22 BAO sind. Die Rechtsfolge ist die Nicht-Anerkennung der Umstrukturierung seitens der Finanzverwaltung, mit der Konsequenz, dass die Abgaben so zu erheben sind, wie sie bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen, Tatsachen und Verhältnissen angemessenen rechtlichen Gestaltung zu erheben wären (§ 22 Abs 3 BAO).
Durch das Jahressteuergesetz 2018 (BGBl I Nr 62/2018), welches für Sachverhalte ab 01.01.2019 anzuwenden ist, wurde erstmalig im Gesetz definiert, was als Missbrauch zu qualifizieren ist.
Ausschlaggebend für die Neuformulierung und Ergänzungen des § 22 BAO war die Richtlinie (EU) 2016/1164 des Rates vom 12.07.2016 mit Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarktes („Anti Tax Avoidance Directive“, kurz: ATAD). Artikel 6 der Richtlinie (EU) 2016/1164 weist die Mitgliedstaaten an, entsprechende nationale Vorschriften zur Verhinderung von Missbrauch für Zwecke der Körperschaftssteuer zu erlassen.
Nach Intention des Gesetzgebers sollte die Auslegung des Missbrauchstatbestands durch die Neuformulierung nicht eingeschränkt werden. Vielmehr entsprach nach Auffassung des Gesetzgebers die bisherige Judikaturlinie des Verwaltungsgerichtshofs zum Missbrauchstatbestand bereits den europarechtlichen Vorgaben.
Ungeachtet dessen weist die nationale Neuformulierung des § 22 Abs 2 BAO teilweise sprachliche Diskrepanzen zur bisherigen Auslegung des Missbrauchstatbestand auf. Der VwGH forderte bis zur Neuformulierung eine Kette von Rechtshandlungen, um als missbräuchliche Gestaltung qualifiziert zu werden. Die nunmehrige Formulierung („rechtliche Gestaltung, die einen oder mehrere Schritte umfassen kann“) lässt die Frage offen, ob ein einziger Umgründungsschritt ausreicht, um als missbräuchliche Gestaltung qualifiziert zu werden. Zudem wurde vom Verwaltungsgerichtshof bislang gefordert, dass die Gestaltung ihre Erklärung nur in der Absicht der Steuervermeidung findet. Ein Abstellen auf eine solche subjektive Seite findet sich in der Neuformulierung des § 22 Abs 2 BAO nicht.
Es ist in der Beratungspraxis unbestritten, dass die Beurteilung einer missbräuchlichen Gestaltung stark einzelfallbezogen ist. Daher gibt es keine allgemein gültigen außersteuerlichen Gründe, die das Vorliegen eines Missbrauchs jedenfalls ausschließen. Aus der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs können allenfalls Tendenzen abgeleitet werden.
An den Rechtsfolgen bei Vorliegen einer missbräuchlichen Gestaltung hat sich durch die Neufassung des § 22 Abs 2 BAO nichts geändert. Liegt Missbrauch im Sinne des § 22 Abs 2 BAO vor, so sind die Abgaben (nach wie vor) so zu erheben, wie sie bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen, Tatsachen und Verhältnissen angemessenen rechtlichen Gestaltung zu erheben wären.
Durch die im Jahr 2018 ergangene Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshof (VfGH 10.10.2018, G49/2017) erhielt der Missbrauchstatbestand des § 22 BAO (idF vor dem JStG 2018) auch aus finanzstrafrechtlicher Perspektive Bedeutung. Dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs lag ein Gesetzprüfungsantrag zugrunde, welcher intendierte, die Verfassungswidrigkeit einer Verurteilung eines Finanzvergehen aufgrund von Missbrauch im Sinne des § 22 BAO festzustellen, da die Bestimmungen des § 22 BAO dem Legalitätsprinzip (Art 18 B-VG) sowie dem Klarheitsgebot (Art 7 EMRK) zuwiderlaufe.
Die Besonderheit des Finanzstrafrechts ist, dass die normierten Verkürzungstatbestände als Blankettstrafnormen ausgestaltet sind und sohin die Bestimmungen des Abgabenrechts als normative Tatbestandsmerkmale zu qualifizieren sind. Die Verwirklichung eines Finanzvergehens setzt neben der Abgabenverkürzung eine schuldhafte Verletzung einer Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflicht voraus. Bei Missbrauchsfällen stellt sich sohin zur finanzstrafrechtlichen Beurteilung regelmäßig die Frage nach der Reichweite dieser Anzeige-, Offenlegungs- und Wahrheitspflicht. Der Verfassungsgerichtshof verwies in seinem Erkenntnis auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs, wonach bei der Beurteilung eines Verletzung der Anzeige-, Offenlegungs- und Wahrheitspflicht darauf abzustellen ist, ob jene Umstände offengelegt sind, die der Abgabenbehörde die Prüfung der Frage ermöglichen, ob für die gewählte Gestaltung, die von der Absicht des Steuerpflichtigen getragen ist, einen Steuervorteil zu erzielen, außersteuerliche Gründe bestehen oder diese ohne den abgabensparenden Effekt einfach unverständlich ist.
Es ist nach Auffassung des Höchstgerichts dem Abgabenpflichtigen jedenfalls zumutbar, in missbrauchsgeneigten Fällen seinen Offenlegungspflichten entsprechend nachzukommen und so die Verwirklichung einer Abgabenhinterziehung hintanzuhalten.
Um finanzstrafrechtliche Konsequenzen im Rahmen von Umstrukturierungen vorweg abzuwenden, sind missbrauchsgeneigte Gestaltungen sohin der Abgabenbehörde offenzulegen.
Missbrauchsgeneigte Gestaltungen, die möglicherweise von der Abgabenbehörde anderes beurteilt werden als vom Abgabepflichtigen, sind im jeweiligen Abgabenverfahren der Behörde offen zu legen. Es empfiehlt sich die wesentlichen außersteuerlichen Gründe bei ungewöhnlichen, steuerminimierenden Gestaltungsmöglichkeiten wahrheitsgemäß und vollständig offenzulegen. Obgleich dies zu einer erhöhten Steuerlast führen kann, bleiben dem Abgabepflichtigen dadurch die Konsequenzen eines Finanzstrafverfahrens erspart.
Alternativ dazu steht dem Abgabepflichtigen auch die Möglichkeit eines Auskunftsbescheids gemäß § 118 BAO offen. Ein solcher kann eingeholt werden, bevor der Sachverhalt verwirklicht wird und bietet dem Abgabenpflichtigen davor Rechtssicherheit. Wird in einem solchen Verfahren seitens der Behörde eine missbräuchliche Gestaltung erkannt, so kann der Antragsteller gegen die erstinstanzliche Entscheidung zur (Rechts-)Frage des Vorliegens einer missbräuchlichen Gestaltung ein Rechtsmittel erheben. Ein solches Verfahren ist mit einem Verwaltungskostenbeitrag von bis zu EUR 20.000,00 verbunden, bietet dem Abgabenpflichtigen allerdings bereits im Vorfeld einer Umstrukturierung eine hohe Rechtssicherheit. Wird ein solcher Auskunftsbescheid eingeholt, in weiterer Konsequenz allerdings vom beauskunften Sachverhalt abgewichen, ist bei Annahme eines entsprechenden Vorsatzes durch die Behörde wiederum mit finanzstrafrechtlichen Konsequenzen zu rechnen.
Grundsätzlich bieten beide Maßnahmen ein probates Mittel, finanzstrafrechtliche Konsequenzen bei Umstrukturierungen und steuerlichen Gestaltungen abzuwenden.
Ungeachtet der Frage der Offenlegung im Sinne der Abgaben- bzw Finanzstrafrechts können grenzüberschreitende Steuergestaltungen auch eine Meldepflicht an die Abgabenbehörden gemäß EU-Meldepflichtgesetz (EU-MPfG) auslösen. Das EU-MPfG unterscheidet dabei zwischen unbedingt meldepflichtigen und bedingt meldepflichtigen Gestaltungen (§§ 5 ff EU-MPfG). Wichtig hierbei ist, dass eine Meldung auf Basis des EU-MPfG keine Offenlegung iSd BAO ist und sohin keine Offenlegung darstellt, die das Vorliegen etwa einer finanzstrafrechtlichen Abgabenhinterziehung verhindert. Eine Offenlegung nach der BAO ist sohin zusätzlich erforderlich.
Die Offenlegung nach EU-MPfG selbst unterliegt im Übrigen ebenfalls einer Strafbarkeit nach dem Finanzstrafgesetz. So stellt die Verletzung der Meldepflicht nach EU-MPfG eine Finanzordnungswidrigkeit nach § 49c FinStrG dar und unterliegt etwa bei Vorliegen von Vorsatz einer Strafe von bis zu EUR 50.000,00.
Haftungsausschluss: Die auf dieser Website bereitgestellten Artikel/Inhalte stellen Tipps von Experten dar und ersetzen dennoch keine rechtliche Beratung. Jede Haftung für Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität ist ausgeschlossen.
Share on Social Media