Mag. Gerlinde Füssel im Interview: „Opfer von Straftaten wissen über ihre Rechte zu wenig Bescheid!“

Schadenersatz und Schmerzengeld, Schutz bei der Zeugenaussage & besondere Verfahrensrechte. Welche Rechte Verbrechensopfer haben und warum eine Prozessbegleitung durch einen Rechtsanwalt sinnvoll ist, erklärt Opferschutz-Expertin und Rechtsanwältin Mag. Gerlinde Füssel im Interview

Mag. Gerlinde FÜSSEL | 25.01.2016 | Strafrecht Seite drucken

meinanwalt.at: Frau Mag. Füssel, Sie sind selbstständige Rechtsanwältin in Linz und auf Strafrecht und Opferschutz spezialisiert. Möchten Sie sich unseren Nutzern näher vorstellen?

Mag. Gerlinde Füssel: Vielen Dank für die Einladung zum Interview. Ich bin seit 4 Jahren eingetragene Rechtsanwältin und habe meine Ausbildung in Salzburg, Kitzbühel und Linz absolviert. Ich war in verschiedenen Kanzleien tätig, wodurch ich mir einen guten Überblick über sämtliche Rechtsgebiete und Abläufe in unterschiedlich organisierten Kanzleien machen konnte. Da ich in eher kleineren Kanzleien „groß“ geworden bin, ist die derzeitige Kanzleisituation – ich bin in einer Regiegemeinschaft mit Frau Kollegin Mag. Alexandra Schachermayer, LLM – ideal für mich. Gemeinsam decken wir sämtliche Rechtsgebiete ab und verfügen auch über ein gutes Netzwerk zu anderen Kollegen in ganz Österreich.

meinanwalt.at: Sie sind ehrenamtlich für Opfer von Straftaten für den Verein „Weißer Ring“ sehr engagiert. Wie kam es dazu?

Mag. Gerlinde Füssel: Durch Zufall und Glück. Ich habe am Anfang meiner Tätigkeit als Anwältin einem Mandanten bei einer vertraglichen Abwicklung geholfen, welcher in der Folge Opfer einer Straftat wurde. Er wandte sich selbst an den Weißen Ring und erwähnte mich dort als seine bisherige Rechtsanwältin, von der er gerne weiterhin unterstützt werden wollte. Dies ist zwar grundsätzlich nicht üblich, da der Weiße Ring mit seinen eigenen für die Opferhilfe ausgebildeten Rechtsanwälten als juristische Prozessbegleiter kooperiert. Dennoch traf ich mich mit einem Mitarbeiter, Herrn Armbruckner, und kam ich nach Absolvierung der Seminare so zum Weißen Ring.

meinanwalt.at: War Ihnen von Anfang an klar, dass Sie Strafrechtsanwältin werden wollen? Was fasziniert Sie an dieser Thematik?

Mag. Gerlinde Füssel: Das Strafrecht hat mich schon immer fasziniert. Es gibt zwar Grenzen bei der Vertretung von Beschuldigen/Angeklagten bei gewissen Delikten, jedoch stehe ich dafür ein, dass wir in einem Rechtsstaat leben und jeder ein Recht auf Verteidigung hat. Oftmals kommt meines Erachtens jedoch das Opfer zu kurz bzw. weiß über seine rechtlichen Möglichkeiten im Strafverfahren zu wenig Bescheid. Gleichzeitig muss das Opfer auch zumeist ein Trauma verarbeiten und ist froh, wenn es sich nicht durch rechtliche Formalitäten „quälen“ muss, sondern dafür einen juristischen Prozessbegleiter hat, die ihm zur Seite stehen und sich um die Formalitäten kümmern.

meinanwalt.at: Sie haben schon einige Aufsehen erregende Verfahren hinter sich. Was war Ihr bislang schwierigster Fall?

Mag. Gerlinde Füssel: Jeder Fall ist für mich aufsehenerregend, da jede Situation unterschiedlich ist und oftmals das brutale Vorgehen der Täter schockierend ist. An dieser Stelle könnte ich ad hoc gar nicht sagen, welcher der schwierigste Fall bis dato war.

meinanwalt.at: Was sind aus Ihrer Sicht in der Praxis die häufigsten Probleme im Zusammenhang mit Opferschutz?

Mag. Gerlinde Füssel: Die häufigsten Probleme ergeben sich dann, wenn die Opfer zu wenig Bescheid über ihre Rechte oder generell über den Ablauf der Verfahren wissen. Meiner Erfahrung nach klären sowohl die Polizei als auch die Justizbehörden sehr gut über die Rechte der Opfer und deren Möglichkeiten, sich am Verfahren zu beteiligen mit Hinweis auf den Weißen Ring, auf.

meinanwalt.at: Worauf kommt es im Bereich des Opferschutzes neben dem rechtlichen Fachwissen besonders an?

Mag. Gerlinde Füssel: Der Umgang mit den Opfern selbst und das eigene Einfühlungsvermögen in fremde Situationen. Deshalb ist auch die gleichzeitige Einschaltung einer psychosozialen Prozessbegleitung unumgänglich.

meinanwalt.at: Wie sollten Menschen, die Opfer eines Verbrechens wurden, im ersten Moment richtigerweise reagieren?

Mag. Gerlinde Füssel: Jedenfalls Anzeige erstatten und bei psychischen und/oder physischen Problemen umgehend einen Arzt oder ein Krankenhaus aufsuchen. Zusätzlich bei Gewaltanwendung durch Dritte den Weißen Ring kontaktieren, um abzuklären, ob die Voraussetzungen gegeben sind, dass dieser Unterstützung gewährleisten kann.

meinanwalt.at: Welche Maßnahmen können unmittelbar gesetzt werden, wenn es zur Gewaltanwendung gekommen ist und das Opfer auch nach der Tat schutzbedürftig ist?

Mag. Gerlinde Füssel: Nach jeder Gewaltanwendung ist umgehend die Polizei zu verständigen. Nach der Tat gibt es auch die Möglichkeit, eine einstweilige Verfügung bei Gericht zu erwirken, wonach dem Täter unter anderem verboten werden kann, gewisse Orte aufzusuchen oder mit dem Opfer Kontakt aufzunehmen. Davon werden auch die Sicherheitsbehörden verständigt, damit ein rascher Eingriff gewährleistet werden kann.

meinanwalt.at: Verbrechensopfer werden in Vorbereitung der Verhandlung aber auch im Prozess als Zeugen vernommen, sind aber oft schwer traumatisiert. Was ist aus Ihrer Sicht im Umgang mit den betroffenen Personen besonders wichtig?

Mag. Gerlinde Füssel: Aufklärung. Aufklärung dahingehend, was, wann, wie und warum passiert. Die meisten Personen waren noch nie bei Gericht und sind mit der Situation an sich überfordert. Ich kläre die Mandanten detailliert über den Ablauf einer Verhandlung auf. Je mehr sie darüber wissen, desto beruhigter sind sie.

meinanwalt.at: Gibt es Möglichkeiten, das Opfer – insbesondere auch minderjährige Personen – im Rahmen der Zeugenaussage zu schützen?

Mag. Gerlinde Füssel: Es gibt zB die Möglichkeit der kontradiktorischen Einvernahme insbesondere bei Sexualdelikten und natürlich die Einvernahme der Opfer in Abwesenheit des Angeklagten. Bei Verhandlungen ist es so organisiert, dass ein Zusammentreffen zwischen Opfer und Täter bei Gericht gänzlich vermieden werden kann.

meinanwalt.at: Welche Rechte haben Verbrechensopfer im Rahmen eines Strafverfahrens allgemein?

Mag. Gerlinde Füssel: Als Opfer hat man das Recht auf Vertretung, Akteneinsicht, Information, Verständigung über den Fortgang des Strafverfahrens, Übersetzungshilfe, Teilnahme an kontradiktorischen Vernehmungen und Tatrekonstruktionen, Anwesenheit bei der Hauptverhandlung sowie Befragung sämtlicher Beteiligter und Fortführung des seitens der Staatsanwaltschaft eingestellten Verfahrens.

Schließt man sich dem Verfahren als Privatbeteiligter an, kommen zu den genannten Opferrechten noch das Beweisantragsrecht und kann die Anklage aufrechterhalten werden, sofern die Staatsanwaltschaft davon zurücktritt. Darüber hinaus steht dem Privatbeteiligten auch die Möglichkeit der Erhebung von Rechtsmitteln/Rechtsbehelfen zu.

meinanwalt.at: Werden von staatlicher Seite die Kosten im Zusammenhang mit einer juristischen und auch psychischen Betreuung während des Verfahrens übernommen?

Mag. Gerlinde Füssel: Bei Vorliegen der Voraussetzungen werden die Kosten einer juristischen und psychosozialen Prozessbegleitung, etwa durch den Weißen Ring, von staatlicher Seite übernommen.

meinanwalt.at: Kann man vom Täter Schadenersatz oder Schmerzengeld verlangen?

Mag. Gerlinde Füssel: Ja, durch die Erklärung, sich als Privatbeteiligter dem Strafverfahren anzuschließen und natürlich auf dem Zivilrechtsweg.

meinanwalt.at: Welche Vorteile bietet es, sich als Privatbeteiligter in einem Strafverfahren anzuschließen?

Mag. Gerlinde Füssel: Man kann als Privatbeteiligter bereits im Strafverfahren Schadenersatz bzw. Schmerzengeld geltend machen und spart sich dadurch oftmals ein Zivilverfahren, sofern die Ansprüche nicht bzw. nicht zur Gänze zugesprochen werden.

meinanwalt.at: Welcher Schaden wird ersetzt?

Mag. Gerlinde Füssel: Es gibt verschiedene Arten von Schäden, die zu ersetzen sind. Dazu zählen zB vorfallskausale körperliche und psychische Schäden sowie die Beschädigungen von Sachen bzw. Gegenständen. Die einzelnen Ansprüche müssen von Fall zu Fall gesondert geprüft werden.

meinanwalt.at: Erhalten Opfer von Gewalt auch von staatlicher Seite eine Entschädigung?

Mag. Gerlinde Füssel: Ja, nach dem Verbrechensopfergesetz stehen Opfern von Gewaltverbrechen bis zu EUR 2.000 zu.

meinanwalt.at: Schwierig ist die Situation für Opfer auch, wenn der Verurteilte wieder aus dem Gefängnis entlassen wird. Wie kann man in diesem Fall reagieren?

Mag. Gerlinde Füssel: Bei gewissen Delikten werden die Opfer über die Freilassung unverzüglich von Amts wegen informiert. Bei anderen Delikten kann man einen Antrag auf Mitteilung stellen, sobald der Verurteilte aus dem Gefängnis entlassen wird. Das funktioniert meiner Erfahrung nach auch recht gut und werden die Opfer rechtzeitig darüber informiert, sodass sie über die Entlassung Bescheid wissen und nicht davon überrascht werden, den Verurteilten plötzlich auf der Straße zu treffen.

meinanwalt.at: Vielen Dank für das Gespäch!

 

Zur Person:

Mag. Gerlinde Füssel ist selbständige Rechtsanwältin in Linz. Zu Ihren Spezialgebieten gehören insbesondere das Strafrecht und der Opferschutz. Sie berät Klienten aber auch in weiteren Rechtsbereich wie dem Arbeitsrecht, Datenschutzrecht, Mietrecht, Zivilrecht und Inkassorecht. Mag. Gerlinde Füssel ist zudem für den Verein Weißer Ring für Verbrechensopfer ehrenamtlich engagiert. Mehr Informationen und Kontaktdaten finden Sie auf dem Profil von Mag. Gerlinde Füssel auf meinanwalt.at sowie auf der Website der Rechtsanwaltskanzlei Schachermayer Füssel.

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