Interview mit Avv. & RA Dr. Ulrike Christine WALTER

Erbschaft in ihrer Wahlheimat Italien verstorbener Österreicher – wie ist bei der Erbschaftsannahme vorzugehen? Welches Land ist zur Durchführung der Verlassenschaftsabhandlung zuständig?

Dr. Ulrike Christine WALTER Avv. & RA | 17.04.2024 | Erbrecht Seite drucken

meinanwalt.at: Sehr geehrte Frau Dr. Walter, Sie sind seit mehr als 30 Jahren in Österreich und seit 21 Jahren auch in Italien zugelassen, Partner der Anwaltskanzlei „del Torre & partners“ mit Sitz in Gorizia, Udine und Klagenfurt und vor allem in Udine/Friaul tätig – welche Fälle betreuen Sie überwiegend?

Avv. & RA Dr. Ulrike Christine WALTER: Ich betreue als deutsche Muttersprachlerin gemeinsam mit meinem italienischen Kanzleipartner del Torre, der ebenfalls deutsch spricht, und drei weiteren zweisprachigen Juristen in meiner Kanzlei „del Torre & partners“ vor allem deutschsprachige Klientel, welche in Italien einen Anwalt benötigen. Mein persönliches Spezialgebiet ist internationales Erbrecht und Immobilienrecht. Da ich auch noch in Österreich zugelassen bin mit einer Kanzlei in Klagenfurt, weiß ich über die Unterschiede in beiden Rechtssystemen Bescheid, sowohl vom Gesetz als auch von der Herangehensweise, die Probleme zu lösen.

meinanwalt.at: Sie sagen, Sie haben viele Erbrechtsfälle in Ihrer Kanzlei anhängig. Hin und wieder stellt sich in einem Erbfall wohl die Frage, welches Land zur Durchführung der Verlassenschaftsabhandlung zuständig ist, z. B. dann, wenn ein/e Österreicher/in in Italien verstirbt und sich in diesem Land vorwiegend aufgehalten hat (also juridisch ausgedrückt seinen/ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte)?

Avv. & RA Dr. Ulrike Christine WALTER: Gemäß Art. 4 der EuErbVO (EU-Erbrechtsverordnung anwendbar auf Erbschaftsfälle für an und nach dem 17. August 2015 Verstorbene) sind die Gerichte des Landes zuständig, in dessen Hoheitsgebiet der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, das Erbschaftverfahren ist also in Italien abzuwickeln.

meinanwalt.at: Was bedeutet „gewöhnlicher Aufenthalt“?

Avv. & RA Dr. Ulrike Christine WALTER: Die EuErbVO stellt vor allem auf den Begriff des gewöhnlichen Aufenthaltes ab. Für die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthaltes kommt es darauf an, wo der Erblasser in familiärer und sozialer Hinsicht seinen Lebensmittelpunkt hat. Dabei soll eine Gesamtbeurteilung der letzten Jahre vor seinem Tod und im Zeitpunkt seines Todes stattfinden, insbesondere über Dauer und Regelmäßigkeit des Aufenthalts des Erblassers in einem Staat, sowie die Umstände und Gründe der Aufenthalte. Es kommt also auf den tatsächlichen Aufenthalt (Beständigkeit, gewisse Stabilität) an und auch auf die Beziehungen (Freundeskreis), die zu diesem Ort bestehen und nicht auf die behördliche Meldung.

meinanwalt.at: Welches Erbrecht ist auf in Italien lebende und in der Folge verstorbene Österreicher anzuwenden?

Avv. & RA Dr. Ulrike Christine WALTER: Auch in diesem Fall wird wieder auf den gewöhnlichen Aufenthalt abgestellt. Art. 21 der EuErbVO bestimmt, dass das Recht des gewöhnlichen Aufenthaltes des Erblassers anzuwenden ist, das wäre in unserem Fall das italienische Erbrecht. Es steht diesem jedoch frei, bei Lebzeiten das Recht seiner Staatsbürgerschaft als das anzuwendende Recht auf den Todesfall zu wählen (Art. 22 EuErbVO).

meinanwalt.at: Der Erblasser hat nun das österreichische Erbrecht gewählt – wie muss der Erbe in diesem Fall vorgehen, wenn er die Erbschaft bedingt (also mit Inventarerrichtung) antreten möchte, sodass er für etwaige Schulden lediglich bis zur Höhe des ererbten Vermögens haftet?

Avv. & RA Dr. Ulrike Christine WALTER: Anzuwenden ist in diesem Fall verfahrensrechtlich das italienische Erbrecht, materiell jedoch (also zur Lösung der Frage, wer Erbe ist, in welcher Höhe er für Verlassenschaftsschulden haftet etc.) das österreichische. Das italienische Erbrecht kennt zwar kein Verlassenschaftsverfahren im österreichischen Sinne – es kennt jedoch ebenfalls die bedingte bzw. unbedingte Erbserklärung, was die Durchführung erleichtert. Der Erbe muss eine offizielle Erklärung abgeben, wie er das Erbe antreten will.

meinanwalt.at: Was macht der Erbe, wenn er in Österreich wohnhaft ist – muss er zur Abgabe der Erbserklärung nach Italien reisen?

Avv. & RA Dr. Ulrike Christine WALTER: Nein. Nach österreichischem Erbrecht muss die Annahmeerklärung vor einem Gericht abgegeben werden (§ 799 ABGB). Gemäß Art. 13 EuErbVO sind die Gerichte des Mitgliedstaates, in dem der Erbe seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, auch u. a. für Erklärungen der Annahme der Erbschaft und Art der Annahme zuständig. Gem. § 105 Abs. 4 JN ist dafür das Bezirksgericht zuständig, in dessen Sprengel der Erbe seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Diese Erbserklärung muss dann beim örtlich zuständigen Gericht in Italien registriert werden. Die konkrete Aufnahme des Inventars, z. b. in der Wohnung, oder die Schließfachöffnung in der Bank des/der Verstorbenen erfolgt dann im Beisein eines/r italienischen Notars/in. Die Ausforschung des Vermögens an sich und die steuerliche Erbserklärung kann auch von einem italienischen Anwalt vorgenommen werden.

meinanwalt.at: Der Erbe möchte die geerbte in Italien (oder auch einem anderen Land) liegende Liegenschaft oder andere Güter verkaufen, gibt es etwas Besonderes zu beachten?

Avv. & RA Dr. Ulrike Christine WALTER: Vor dem konkreten Verkauf muss die Bewilligung des Gerichts in Italien eingeholt werden, sonst verliert der Erbe die limitierte Haftung. Bei in Italien liegenden Immobilien ist auch noch die Eintragung in den Grundkataster nach Beendigung des Erbschaftsverfahrens notwendig.

meinanwalt.at: Wenn der Erbe die Erbschaft unbedingt antreten will, was muss er tun?

Avv. & RA Dr. Ulrike Christine WALTER: In diesem Fall müsste der Erbe die Erbannahme wie oben beschrieben vor Gericht erklären und dann binnen der steuerlich relevanten Jahresfrist eine Erklärung bei der Finanz abgegeben, die den Nachweis der Erbberechtigung und den Umfang des Vermögens darstellt. Erfolgt diese Erklärung verspätet, verfristet nichts, es ist jedoch ein eher geringer steuerlicher Strafzuschlag zu bezahlen. (Die Abgabe dieser steuerlichen Erklärung ist übrigens auch bei Annahme mit bedingter Erbserklärung notwendig.)

meinanwalt.at: Der/die Verstorbene hatte ein Konto in Österreich, wie erhält der Erbe Auskunft über den Kontenstand?

Avv. & RA Dr. Ulrike Christine WALTER: Das ist wirklich ein Problem, da die Banken im Verlassenschaftsverfahren lediglich Gerichtskommissären über den Kontenstand Auskunft geben dürfen. Nach italienischem Recht haben zwar italienische Anwälte bezüglich der Vermögensausforschung dieselbe Befugnis, das heißt, eine italienische Bank muss einem dafür beauftragten Rechtsanwalt Auskunft erteilen, aber diese sind eben keine Gerichtskommissäre. Das heißt, die Verlassenschaft muss zuerst ohne Aufnahme des Bankkontos in der Erbschaftserklärung abgewickelt werden, ein italienischer Notar muss beauftragt werden, ein europäisches Nachlasszeugnis auszustellen, und unter Vorlage dieses erhält der Erbe sowohl Auskunft über das Bankvermögen als auch das Vermögen selbst. Die steuerliche Erbserklärung muss dann v. a. bei bedingter Erbannahme um diesen Betrag nachträglich ergänzt werden.

meinanwalt.at: Kann ich die Verlassenschaft auch in Österreich abwickeln?

Avv. & RA Dr. Ulrike Christine WALTER: Bei Rechtswahl der Staatsbürgerschaft können die Erben (nicht jedoch der Erblasser!) die Gerichte des gewählten Rechtes als zuständig vereinbaren. Eine derartige Gerichtsstandsvereinbarung bedarf der Schriftform, ist zu datieren und von den betroffenen Parteien zu unterzeichnen (Art. 5 EuErbVO). Es ist von Fall zu Fall zu entscheiden, was im Endeffekt praktikabler erscheint.

meinanwalt.at: Vielen Dank für das Gespräch.

 

Zur Person:

Dr. Ulrike Christine Walter ist seit 1987 in Österreich als Rechtsanwältin zugelassen. Seit 2002 ist sie als niedergelassene europäische Rechtsanwältin und seit 2006 als zugelassene Anwältin (Avvocato) in Italien tätig. Neben ihrem Kanzleistandort in Klagenfurt ist sie auch Partnerin der Kanzlei del Torre & partners mit Sitz in Friaul/Italien (Gorizia/Görz und Udine). Zu ihren Beratungsschwerpunkten zählt das Erbrecht, Familienrecht, Immobilienrecht sowie Schadenersatzrecht. Frau Dr. Walter publiziert regelmäßig in diversen Zeitschriften und hält Vorträge im Gebiet des internationalen Rechts mit Hauptschwerpunkt Italien, Österreich und Deutschland. Weiterführende Informationen über Frau Dr. Ulrike Christine Walter finden Sie auf Ihrem Profil bei meinanwalt.at und auf ihrer Website.

Rechtsgebiete: Erbrecht, italienisches Recht, Immobilienrecht/Liegenschaftsrecht, internationales Recht

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Anwaltsprofil

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