In jeder Familie ist das anders, aber in der Regel gibt es gemeinsame Merkmale. Es passiert öfters, als man denkt.
Schon während der Scheidung oder Trennung, oder kurz danach, beginnt ein Elternteil das Kind oder die Kinder vom anderen Elternteil zu entfremden. Manchmal passiert diese Entfremdung von heute auf morgen, und manchmal schleichender Prozess. Jedenfalls, ein Elternteil – in der Regel derjenige, der mit dem Kind nicht lebt - beginnt zu bemerken, dass sein Kontakt zum Kind immer schlechter und schwieriger wird. Manchmal ist so, dass sich das Kind nicht mehr am Handy melden will. Oder, wenn schon, dann nur kurz, und es ist völlig ohne Interesse am Gespräch. Oder das Kind will am Wochenende nicht kommen. Das sind schon sehr fortgeschrittene Phasen.
Es beginnt öfter so, dass das Kind am Wochenende schon kommt, aber immer unruhiger und unruhiger wird, bis dieser Elternteil nicht mehr weiß, wie er oder sie mit dem Kind umgehen sollte. Dann merkt man, dass das Kind beginnt, sich für „eine Seite“ zu entscheiden. Dies ist in der Regel die Seite jenes Elternteils, mit dem das Kind lebt. Dieser Elternteil wird für das Kind die wichtigste, aber vor allem einzige Bezugsperson. Dieser Elternteil kann machen, was er oder sie will, alles wird vom Kind akzeptiert. Das ist auch logisch. Das Kind ist von diesem Elternteil völlig abhängig, in Sachen Liebe, Schutz, aber auch fürs Überleben. Die Autorität des anderen Elternteils, mit dem das Kind nicht lebt, wird immer geringer. Das Kind muss für alles den anderen Elternteil fragen.
Das Kind beginnt Sprüche, Sätze, Begriffe zu verwenden, die es nur von jemanden (in der Regel dem anderen Elternteil) hören konnte, wie z.B. „Du bist schlecht, weil ich jetzt mit Dir sein muss“. Das Kind wird vom Elternteil, wo es lebt, darin unterstützt, mit allen Mitteln, vor allem mit Ablehnung und Missachtung, dem anderen Elternteil das Herz zu brechen.
Ich will ganz absichtlich nicht beschreiben, was alles gemacht wird, um ein Kind von dem anderen Elternteil zu entfremden, weil ich niemandem Ideen geben will. Die Resultate sind schon Leid genug!
Viele Elternteil kämpfen schon, viel und lange, vor allem vor Gericht. Aber das bringt in der Regel nicht viel, kein fühlbares Resultat. Irgendwie kommen sie dem Kind nicht näher. Das System, das Gericht, irgendwie ist niemand in der Lage, das Kind dem Elternteil näher zu bringen! Und dann, nach vielen Kämpfen und viel Leid, lassen sie das Kind in Ruhe. Die Eltern wollen nicht mehr, dass das Kind leidet. Sie wollen für sich selbst und für das Kind nur noch Ruhe! Die Eltern glauben, dass es besser wird, wenn sie aufhören Krieg zu führen. Manchmal ist so - aber nur manchmal!
Natürlich, der andere Elternteil! Dieser hat das Ziel erreicht! Ab jetzt wird er oder sie ein „alleinerziehender“ Elternteil. Alle drücken ihr Bedauern aus und Sympathie fließt. Aber vor allem, er oder sie wird das Kind oder die Kinder für sich haben, nur für sich selbst. Was für ein fraglicher Erfolg!
Dem Kind wird jetzt serviert, dass es der andere Elternteil nicht liebt und eigentlich auch nie geliebt hat. Weil dieser Elternteil es verlassen hat. Und das Kind beginnt das zu glauben!
Das Kind wird gezwungen ohne den zweiten Elternteil zu leben. Das Kind wird gezwungen, gegen seine natürlichen Gefühle der Zuneigung und Liebe für beide Elternteile aufzuwachsen. Das hat langfristige seelische und psychische Folgen für das Kind.
Es gibt ein „4-Faktor-Model“ (Gardner, 1998) der zeigt ob es im konkreten Fall um „parental alienation“ bzw. elterliche Entfremdung geht. Ich habe das vereinfacht in folgende 4 Punkte verfasst:
1. In der Vergangenheit gab es eine positive und gute Beziehung Kind-Eltern.
2. Der andere Elternteil (mit dem das Kind nicht lebt) hat das Kind nie vernachlässigt oder Gewalt ausgeübt.
3. Beim Elternteil (wo das Kind lebt) sind Handlungen evident, die zur einer Entfremdung führen.
4. Das Kind benimmt sich als entfremdet.
Ich bin nur eine Rechtsanwältin und auch ausgebildete Mediatorin, und alles was ich rede, kommt aus meiner langjährigen Erfahrung mit dieser Problematik, vor Gericht, außerhalb des Gerichts und in der Mediation.
Sie müssen meinen Rat nicht nehmen, es gibt auch viele andere Spezialisten, die sich mit diesem Thema sehr gut auskennen, sicher viel besser als ich. Trotzdem fühle ich ein Bedürfnis, zehn Ratschläge zum Thema „Elterliche Entfremdung“ zu geben:
Man soll rechtzeitig zum Rechtsanwalt oder zur Rechtsanwältin kommen, die sich damit auskennen. Aber wirklich rechtzeitig!
Man soll sich an das Gericht für die notwendige Hilfe und Unterstützung wenden. Nach meiner langjährigen Erfahrung, in diesen Fällen geht ohne gerichtliche Hilfe in der Regel nichts.
Man soll die Kommunikations-Linie zum Kind offen halten. Man soll nicht erlauben, dass die Kommunikation zum Kind stirbt.
Man soll sich von niemandem beraten lassen, der nicht weiß, was elterliche Entfremdung ist und viel Erfahrung damit hat. Egal wie nett und beratungsbereit die Freunde, Verwandten oder Nachbarn sind; wenn die mit der elterlichen Entfremdung nicht viel Erfahrung haben, nehmen Sie den Rat nicht. Das ist nicht bloß, wie wenn jemand schon ein Auto fahren kann und denkt, er oder sie kann auch einen LKW fahren. Das ist eher, wie wenn jemand noch nie ein Meer gesehen hat und denkt, er oder sie kann Boot fahren.
Man soll sehr vorsichtig sein, wie und was mit dem anderen Elternteil kommuniziert wird. Man wird emotionell, man hat ein Bedürfnis viel zu sagen! Aber, bei der elterlichen Entfremdung muss man vorsichtig sein, wie und was man kommuniziert. Ich bin keine Psychologin, aber meine Erfahrung sagt, dass es am besten ist es, nur schriftlich zwischen den Elternteilen zu kommunizieren und nur über das Kind. Und am besten sehr kurz und sehr klar. Warum? Weil sehr oft jede Kommunikation, egal ob notwendig oder nicht notwendig, ausgenutzt wird.
Man soll sehr vorsichtig sein, was vor dem Gericht vereinbart wird. Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass es Modelle gibt, wie man auch mit den laufenden Versuchen der Entfremdung die gemeinsame Obsorge haben kann und einen regelmäßigen Kontakt zum Kind ausüben kann. Aber, dafür muss man viel wissen. Man muss wissen, wie das ausgehandelt, vereinbart und durchgeführt wird.
Man soll sich am besten ganz fest an die schriftlichen Vereinbarungen halten und keine Aufweichungen praktizieren. Manchmal gibt es für zusätzliche Vereinbarungen und Änderungen einfach keinen Platz!
Man soll sehr aufmerksam sein, dass Freundlichkeit und Bereitschaft für eine Zusammenarbeit nicht ausgenutzt wird.
Man soll für das Kind da sein, bis zur letzten Sekunde. Man soll nie aufgeben. Man soll hoffen, dass die Beziehung irgendwann besser wird.
Man soll sich nicht darauf konzentrieren, das Kind vor dem anderen Elternteil „zu retten“. Einfach aus dem Grund, weil aus meiner Erfahrung das nicht möglich sein wird. Man soll aber immer versuchen, das Kind zu ermächtigen, wie man das am besten kann.
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