Kapitalmarktrechtler kritisieren schon lange, dass das Börsegesetz Gesellschaften, deren Aktien im Amtlichen Handel der Wiener Börse notieren, keine reguläre Rückzugsmöglichkeit bietet. Will eine börsenotierte Aktiengesellschaft (AG) die Börse wieder verlassen, muss sie daher zwingend einen gesellschaftsrechtlichen „Kunstgriff“ machen. Eine Notierungsbeendigung lässt sich neben der bereits erwähnten (unzulässigen) Downstream-Verschmelzung etwa auch durch die Umwandlung der börsenotierten AG in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung oder – bei entsprechend klaren Mehrheitsverhältnissen – durch einen Gesellschafterausschluss erreichen. Diese Situation ist nicht nur aufgrund der erwähnten Rechtsprechung unbefriedigen.
Das ab 3. Jänner 2018 anwendbare neue Börsegesetz sieht nun eine Art „Kündigung“ der Zulassung zum Handel im Amtlichen Handel der Wiener Börse (künftig der einzige geregelte Markt in Österreich) vor. Die Grundregel ist einfach: Die Zulassung von Finanzinstrumenten wie Aktien, Genussscheinen und Schuldverschreibungen ist von der Wiener Börse auf Antrag des das Finanzinstrument begebenden Unternehmens (Emittent) zu widerrufen, wenn der Anlegerschutz dadurch nicht gefährdet ist. Grundvoraussetzung ist, dass die Börsezulassung für das Finanzinstrument zumindest drei Jahre gedauert hat.
Weitere Vorgaben bestehen für das Delisting von Beteiligungspapieren (Aktien, Genussscheine, Wandelschuldverschreibungen und ähnliche). Hier ist zunächst die Zustimmung einer qualifizierten Aktionärsmehrheit erforderlich. Diese kann entweder in einem Hauptversammlungsbeschluss (Mehrheit von drei Viertel der abgegebenen Stimmen erforderlich) oder in einem (notariellen) Verlangen von Aktionären, die gemeinsam über 75 % des stimmberechtigten Grundkapitals verfügen, ausgedrückt werden. Zusätzlich ist die Zustimmung des Aufsichtsrats des Emittenten einzuholen.
Damit der Anlegerschutz nicht gefährdet ist, muss im Fall von Beteiligungspapieren anlässlich der Notierungsbeendigung ein dem Übernahmegesetz entsprechendes Übernahmeangebot an die Minderheitsaktionäre gelegt werden (es sei denn, es besteht eine weitere Zulassung in einem geregelten EWR-Markt mit gleichwertigem Schutzniveau). Es gelten prinzipiell die Vorgaben für Pflichtangebote. Zusätzlich werden Sonderbestimmungen für Delisting-Angebote vorgesehen. Praktisch bedeutend sind insbesondere die Vorgaben zur Preisbildung. Der Angebotspreis darf – wie bei Pflichtangeboten – zunächst den durchschnittlichen gewichteten Börsenkurs der letzten sechs Monate und den höchsten vom Bieter (oder mit diesem gemeinsam vorgehenden Rechtsträgern) für das Beteiligungspapier innerhalb der letzten zwölf Monate gezahlten Preis nicht unterschreiten. Zusätzliche Untergrenze ist der durchschnittliche gewichtete Börsenkurs der letzten fünf Börsetage vor Bekanntgabe des geplanten Delistings.
Der Angebotspreis wird also prinzipiell im Wesentlichen anhand des historischen Börsekurses bestimmt. Liegt der so ermittelte Preis allerdings offensichtlich unter dem tatsächlichen Wert des Unternehmens, ist die Abfindung laut Börsegesetz 2018 „angemessen festzulegen“. Im Zuge der Preisbildung wird daher regelmäßig eine gewisse Plausibilisierung des errechneten Angebotspreises erforderlich sein (anhand von approximativen Bewertungsverfahren; in der Regel keine umfassende Unternehmensbewertung erforderlich).
Nach Veröffentlichung der Angebotsunterlage und Stellen des Delisting-Antrags hat die Wiener Börse zehn Wochen Zeit zu entscheiden. Wird dem Antrag stattgegeben, ist der Zulassungswiderruf auf der Internetseite der Wiener Börse zu veröffentlichen. Die Wiener Börse hat auch den Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Widerrufs festzulegen, wobei der Zeitraum zwischen Veröffentlichung und Wirksamwerden des Widerrufs nicht weniger als drei und nicht mehr als zwölf Monate betragen darf.
Auch wenn die Neuregelung die eine oder andere Detailfrage offen lässt, ist sie prinzipiell zu begrüßen. Ein Wehrmutstropfen sind allerdings die hohen Kosten, die insbesondere auf das Verfahren bei der Übernahmekommission zurückzuführen sind. Es sind nicht nur Rechtsberater und Sachverständige zu vergüten, sondern es ist auch eine saftige Gebühr für das Übernahmeverfahren zu entrichten. Letztere hängt zwar grundsätzlich von der insgesamt gebotenen Gegenleistung ab, beträgt aber mindestens 60.000 Euro. In Österreich sind zahlreiche vergleichsweise kleine Aktiengesellschaften börsenotiert, deren Streubesitz häufig nur eine Marktkapitalisierung im niedrigen einstelligen Millionenbereich hat. Für diese ist der neuen Anlegerschutzmechanismus unverhältnismäßig teuer.
Mag. Gernot Wilfling ist Partner und Leiter der Praxisgruppe Kapitalmarktrecht bei der renommierten Wiener Wirtschaftskanzlei Müller Partner Rechtsanwälte. Zu seinen Beratungsschwerpunkten zählen Kapitalmarktrecht und angrenzendes Gesellschaftsrecht sowie Venture Capital & Private Equity. Weitere Informationen und Kontaktdaten finden Sie auf dem Profil von Mag. Wilfling bei meinanwalt.at sowie auf der Website von Müller Partner Rechtsanwälte.
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